Ok, Boomer!

Endlich ist es soweit. Endlich kann die Generation, in die ich geboren wurde, sich gebührend rechtfertigen. Und dass dazu nur zwei Worte nötig sind, das hätte ich nie gedacht. "Ok, boomer" ist das einzige was es braucht, um künftig meine Aussagen so zu festigen, dass sie anschliessend eine unumstössliche Wahrheit sind, die nicht angezweifelt werden kann. Es beweist doch hieb- und stichfest, dass ich allen älteren im Raum weit überlegen bin. Ich bin ein Millenial. Ich wusste wie man Smartphones bedient, da waren sie noch nicht mal erfunden. Ich weiss, wie man ausserhalb der Box denkt, ich weiss wie man Politik machen müsste, finde stets und souverän den Weg des geringsten Wiederstandes und bin unwillentlich Opfer davon, dass die Generation meiner Eltern unserem Planeten in ihrem grenzenlosen Egoismus den Rest gegeben hat. Normal arbeiten möchte ich eigentlich nicht, Arbeit im klassischen Sinne ist doch irgendwie altmodisch- ausserdem ist es mir wichtiger, Bäume zu pflanzen und weltverändernde Demos nicht zu verpassen. Sonst gibt es irgendwann gar keine Erde mehr, auf der die anderen arbeiten könnten. Wenn ich arbeite, dann richtig: In einer Position, in der ich einen Impact haben kann. Ich weiss nun mal, was die Boomer und die Gen X noch nicht wussten: Ich bin etwas Besonderes und ich werde etwas Grosses bewirken. Ich werde die Welt verändern. 

 

Der Satz "Ok, boomer" wurde im Laufe des Jahres 2019 bekannt. Zuerst war es ein Internet-Meme, in welchem sich Jugendliche aus der Generation Y (Millenials, Geburtsjahr ca. 1985 bis 1997) und der Generation Z (1997 bis 2012) über die älteren Leute- vorwiegend die Baby-Boomer Generation, welche in den Jahren zwischen Ende des 2. Weltkrieges und 1964 geboren wurden und den Nachkriegswohlstand geniessen konnten- beklagten. Mit den Worten "Ok, boomer" versuchen die Millenials zu vermitteln, dass die Boomer-Generation von jüngst debattierten Dingen wie beispielsweise dem Klimawandel, der Energiewende als auch im allgemeinen von den Wertvorstellungen der jüngeren Generation keine Ahnung hat. Die Ansichten der älteren Generation wird so mit den Worten "Ok, boomer" als lächerlich und altmodisch dargestellt.

 

Schärfer wurde die Lage, als der Satz von einem Meme zu einer echten Diskussion wurde: Die New York Times erklärte, dass dieser Spruch das Ende der freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Generationen einläuten würde und kurz darauf verwendete auch die neuseeländische Parlamentarierin Chlöe Swarbrick den Spruch während ihrer Rede zur Klimadebatte.
Was ist denn nun also? Sollen die Alten endlich die Klappe halten und den Stab an uns Junge weitergeben? Sind wir ehrlich... wir wissen doch bestens Bescheid. Eigentlich wissen wir alles. Und wir wissen es auch besser. Ich meine... wer kann jetzt hier am elegantesten swipen?

Ich hätte nie geglaubt, dass ich das noch erleben werde- doch wir Millenials haben es wirklich gemacht: Unsere Generation ist doch tatsächlich die Generation, die es geschafft hat, auf Grundlage eines Memes eine politische Diskussion einzuheizen. Ja-ha! Wir sind richtig erwachsen!

 

Doch das ist nicht alles. Wir haben gar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Einerseits haben wir ehrwürdig den Generationenkonflikt erhalten und zweitens haben wir einen bedeutenden Standfuss in der Umsetzung zu Bekämpfung der wirklichen Probleme der Welt gefasst. Oder nicht?

 

Nun- ich möchte ehrlich sein. Ich sehe das eigentlich ganz anders. Ich selber bin zwar ein "Millenial" wenn man auf mein Geburtsjahr achtet. Doch ich bin kein "typischer" Millenial, wenn man meine Ansichten betrachtet. 
Als man Chlöe Swarbrick nach ihrer Rede fragte, was "Ok, boomer" bedeuten solle, erklärte sie, dass es ein Ausdruck "kollektiver Frustration" ist. Und das ist wohl das wahrste, dass sie sagen konnte. Denn es trifft den Nagel auf den Kopf: Wir Millenials sind eine Generation, die verzweifelt versucht, ernst genommen zu werden.


Doch wie will man jemanden ernst nehmen, der aus Frust heraus argumentiert? Wie will man jemanden ernst nehmen, der bis 30 zu Hause wohnt, weil er keine Lust hat, seine eigene Wäsche zu waschen (dabei würde er das nicht zugeben, nein. Er argumentiert lieber damit, dass er keine Zeit habe für solche unwichtigen Dinge sondern seine Zeit lieber einsetze, um auf Social Media einen verbitterten, aber wichtigen Post zu schreiben)? Wie will man jemanden ernst nehmen, der noch nie sein eigenes Geld verdient hat, aber denkt, er könnte die Welt retten (und die, die Geld haben (die boomer), sollen das gefälligst bezahlen)? Wie soll man jemanden ernst nehmen, der alle anderen beschuldigt für den Frust, den er hat? Oder für die Umstände, in denen er steckt?

Den ganzen Klimawandel wollen wir den Boomern in die Schuhe schieben und nutzen unser endloses Talent um stabile Demonstrationschilder zu basteln. Oder aber wir leasen uns einen Porsche mit 23 und wohnen in einer Wohnung, die im Monat 2400.- kostet und die wir fancy einrichten, weil es uns doch zusteht. Weil wir Millenials sind. Weil wir nicht warten wollen. Und wir nörgeln, weil wir einfach keine Zeit für eine 2-jährige Weltreise haben. Dabei ist so eine Reise doch nötig, um sich geistig und kulturell völlig zu entwickeln. 


Dieses Verhalten hält uns Millenials genau in der Rolle fest, die wir eigentlich durchbrechen wollen: Es ist, als wollten wir unsere geliebte, rebellische Pubertät hinauszögern. Ist doch praktisch. So müssen wir keine Verantwortung übernehmen, denn damit haben wir Millenials ohnehin Schwierigkeiten. Unsere Art, Verantwortung zu übernehmen liegt im besten Fall darin, herauszufinden, wer für das Desaster verantwortlich ist und dann von ihm zu verlangen, es wieder in Ordnung zu bringen. Meistens jedoch fühlen wir uns unverstanden und verschwinden in unseren Zimmern, wo wir übertrieben laut Musik hören und uns selber bemitleiden. Wir machen gerne Memes darüber, wie schwierig das Erwachsensein ist und dass wir, wenn wir das gewusst hätten, lieber Kind geblieben wären. Oder wie schlimm dass Montage sind. 

 

Wir haben als Kind immer gehört, wie wichtig, einzigartig und speziell wir sind, und dass wir alles erreichen können. Und wenn wir zum ersten Mal in die Arbeitswelt kommen, dann merken wir, dass wir eine Wurst sind und nichts können. Wir geben dann dem Arbeitgeber die Schuld oder sagen, dass es einfach der falsche Job sei. Oder unser Lehrer sei eine Flasche gewesen und hätte uns nichts beibringen können. Wie hätte er auch? Der war schliesslich ein Boomer- und Boomer haben keinen Dunst... Oder wir künden, weil wir nach einem ganzen halben Jahr harter Arbeit noch immer keinen Impact auf die Firma haben oder unser Boomer-Chef uns in ein Burnout treibt, weil möchte, dass wir wirklich jeden Tag um 7.30 zu Arbeit erscheinen. Oder sehen keinen Sinn mehr, weil unser einmaliges Supertalent noch nicht honoriert wurde und wir noch immer nicht befördert wurden. Ja, wir sind ungeduldig. Wieso sollten wir auch Geduld haben? Die Welt wurde doch auch immer schneller, oder? Mein Paket kommt am nächsten Tag mit der Post, wenn ich es heute bestelle. Wenn ich eine Frage habe, habe ich sie in zwei Sekunden in Google eingetippt und erhalte eine Antwort. Wenn ich eine Serie schauen will, dann schaue ich so viele Folgen davon, wie ich gerade möchte- ich muss nicht bis nächste Woche Warten, um die neue Folge zu sehen. Und ich nehme mir auch nicht die mühsame Zeit, in Beziehungen zu investieren, denn ich sehe ja, dass die Leute mich mögen, wenn sie meine Bilder liken. 

Hört sich ziemlich schwach an, nicht?
Also an alle Millenials: Vergessen wir diesen "Ok, boomer"-Scheiss. Ist doch nur kindischer Mist, der uns in unserem dämlichen Klischee festhält. Was wir brauchen ist nicht noch ein Ventil, das unseren fehlenden Selbstwert in Form von Frust auspustet. Was wir Millenials brauchen ist ein Commitment dazu, uns selber die Geduld beizubringen, die uns unsere Eltern nicht lehren konnten. Ein Commitment, die Ausdauer zu erlernen, die wir vermeintlich nie wirklich gebraucht haben und das Bewusstsein über die Wichtigkeit von echten Beziehungen. Dann werden wir merken, dass uns andere Generationen ernst nehmen können und lernen uns zu schätzen.

Dann auch können wir unseren Kindern eine wirklich gute Erde hinterlassen. Eine, die nicht nur ein paar Bäume mehr hat, von denen wir in peinlichem Stolz erzählen, wir hätten sie gepflanzt, oder die von veganen Burgerrestaurant-Ketten übersät ist, von denen wir erzählen, wir hätten sie erschaffen. Oder die mit Batteriebetrieben Plastik-Karossen befahren wird, für dessen schlechte Recyclebarkeit wir uns schämen müssen. Oder die voll von Geschichten ist, in denen wir erzählen, wir hätten es der Boomer-Generation voll gezeigt indem wir im Jahr 2019 ein Meme kreiert haben, dass auf trotzig-infantile Weise sagte, dass sie die Klappe halten sollen. 

Sondern eine Erde, auf der es Menschen gibt, die es geschafft haben, erwachsen zu werden und die Vorbilder sind, weil sie wissen was Geduld ist und wie man Freude an der Arbeit hat.

Doch vor allem, weil sie wissen, wie man echte Beziehungen führt. 

Und ich denke wir können das schaffen. Schliesslich sind es doch wir, die wir sogar wissen, wie man ein Smartphone bedient, nicht wahr?

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