Ich hatte kürzlich einen Smalltalk mit einer jüngeren Person, bei dem ich von einem Bekannten von mir erzählt habe, dass er angefangen hat zu singen und nun für Auftritte zu buchen sei. Daraufhin
hat mich die jüngere Person gefragt: "Kann man von sowas leben?"
Das brachte mich zum nachdenken.
Ich meine kann man? Kann man von sowas leben? Ja, man kann- unzählige Menschen machen das ja vor: All die berühmten Sänger und Sängerinnen, die Stadien füllen. Einige von ihnen
verdienen sehr gut. Unglaublich gut sogar. Aber die Frage ist noch tiefer, mehrschichtiger. Nun gut, zugegeben, die Person, die mich fragte, wollte keine tiefere Antwort darauf, sie wollte etwas
anderes wissen. Nämlich: Kann die singende Person, die ich kenne, genug mit dem Singen erwirtschaften, dass sie damit ihren Lebensunterhalt bestreiten kann? Dann lautet die Antwort nein. Nein,
die Person kann mit dem Erlös von ihren Auftritten nicht den Lebensunterhalt bestreiten. Sie geht tagsüber einem normalen Job nach.
Aber denken wir doch noch ein Stück weiter. Wenn ich die Frage "Kann man davon leben?" (eine Frage, die wir Schweizer ja gerne mal stellen) einem Bankier stellen würde, was würde er mir dann
sagen? Vermutlich "Ja". Aaaaber wäre seine Antwort wahr?
Vielleicht... aber vielleicht auch nicht. Sind wir ehrlich, die meisten von uns können nämlich von ihrem Job nicht leben.
Die meisten verdienen mit ihrem Job lediglich das Geld, um damit Rechnungen zu bezahlen. Doch das ist noch lange nicht leben.
Ich kann von meinem Job nicht leben- ich kann damit nur Rechnungen bezahlen. Ich selber finde zwar Freude in meinem Job, also ist durchaus auch Leben drin, doch ich würde die Frage, ob ich
von meinem Job leben kann, deshalb nicht mit ja beantworten. Denn obwohl im Job Leben steckt, der Job kann nicht das Leben sein.
Manchmal frage ich mich sogar, ob ich überhaupt leben kann. Ich meine, wie geht leben? Was ist leben eigentlich? Hat uns das jemals jemand beigebracht? Ich fühle mich manchmal so, als hätte man mir nur erklärt, wie ich überleben kann. Unsere Jobs lenken uns ja oft erfolgreich von der Frage des Lebens ab. Einige denken sogar, dass ihr Job ihr Leben ist. Oder ihr Auto. Oder ihr Partner. Oder manche denken, dass man sich mit Geld leben kaufen könnte. Wenn man denn nur welches hätte. Habe ich übrigens auch schon durchgedacht:
Ich habe mir die Frage schon oft gestellt: "Warum kann ich keine Leidenschaft für eine Arbeit haben, die grosszügig honoriert wird? Zum Beispiel eine Leidenschaft für Computer? Für die digitale
Welt? Dann könnte ich eine App entwickeln oder als Informatiker oder gar IT-Experte im warmen Büro sitzen und dabei gut verdienen. Oder eine Leidenschaft für Bankarbeit? (Man erkennt schon daran,
dass mir kein anderes Wort als "Bankarbeit" für die Tätigkeiten, die eine Person in einer Bank macht, eingefallen ist, dass ich null Interesse an solchen Dinge habe) Dann könnte ich Fondmanager
werden und mir dicke Boni einheimsen. Oder warum interessiere ich mich nicht fürs Beratertum? Dann könnte ich zum Beispiel bei einer Versicherung arbeiten, könnte mit meinem schicken
Geschäftsauto in der Gegend rumcruisen und bei den Leuten Kaffeetrinken gehen. Und ich würde noch immer einiges mehr verdienen als als Mechaniker. Oder hätte ich Interesse daran, für die
Pharmaindustrie zu arbeiten. Oder eine medizinische Ausbildung zu machen und Arzt zu werden- vielleicht sogar Zahnarzt. Oder Anwalt. Oder Immobilienberater. Oder Berufspolitiker. Oder Mafiosi.
(Wobei ich bei den letzten beiden über die Unterschiede noch nachdenke ;))
Und wenn ich es trotz anderer Leidenschaften dennoch getan hätte und einen anderen Job erlernt hätte? Das hätte ich ja können. Aber dann dachte ich jeweils, dass das "zusätzliche
Leben(-sgefühl)", dass ich mir mit dem Geld kaufen könnte ja bereits wieder dadurch, dass mich mein Job so unfassbar fest angurken würde, wieder aufgebraucht wäre. Das wäre also auch keine
Lösung. Nein, ich mag meine Leidenschaften und ich möchte ihnen treu bleiben.
Mittlerweile denke ich ohnehin, dass man von einem Job, egal wie gut er bezahlt ist, gar nicht leben kann. Und das muss man auch nicht. Es sind die anderen Dinge im Leben, von denen man lebt. Ein Lachen. Ein guter Gedanke. Ein Nickerchen. Ein Cordon-Bleu. Reden mit einem guten Freund. Hin und wieder ein Abenteuer. Ein Sonnenaufgang. Wind, der einem durch die Haare streift. Eine Schneeballschlacht. Kuchen, der im Ofen aufgeht. Mit ordentlichem Anlauf in Wollsocken über den Parkett gleiten. Weinen nach einem Disney-Film. Das befreiende Gefühl, wenn man frisch auf der Toilette war. Oder nach dem Niesen. Eine Umarmung. Ein guter Song. Apropos:
Fragen wir doch wir doch noch einmal unseren Sänger. Kann er mit seinen Auftritten seine Rechnungen bezahlen? Nein. Kann er davon leben? Ja, er kann.
Von was lebst du?
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Brauni (Samstag, 09 November 2019 22:14)
Hey Mani!
Sehr en coola Biitrag! II hans miar nämli no nia so überleid mit dera Frag "Kannst du davon leben?". Danke, dass du diar di Ziit gno hesch, zum där Biitrag schrieba. Öppis glärnt, wo mi wiiterbrunge hed!